Freiheit durch Entschuldung – die Eröffnungspredigt von Pfarrer Friedemann Manz

Pfarrer Friedemann Manz, Eröffnungsgottesdienst der Vesperkirche Ravensburg, 24. Januar 2017

Schuldenerlass in jedem siebten Jahr (Deuteronomium 15, 1ff)

Ein Gebot Gottes für das Volk Israel:

„Immer wenn sieben Jahre vergangen sind, müsst ihr alle Schulden erlassen.

Dafür gelten folgende Bestimmungen: Wer einem anderen Israeliten Geld geliehen hat, muss ihm jetzt die Schulden erlassen. Er darf sie von seinem Bruder, dem anderen Israeliten, nicht mehr eintreiben. Denn man hat zu Ehren des HERRN einen Schuldenerlass ausgerufen. Von einem Ausländer könnt ihr Schulden eintreiben, aber nicht von einem, der zu eurem eigenen Volk gehört und deshalb euer Bruder ist.

Pfarrer Friedemann Manz

Friedemann Manz

Wenn ihr auf den HERRN, euren Gott, hört und alle seine Weisungen befolgt, die ich euch verkünde, wird es jedoch überhaupt keine Armen unter euch geben. Denn dann wird der HERR euch genug zum Leben schenken in dem Land, das er euch gibt. Er wird sein Versprechen halten und euer Land segnen. Ihr werdet so viel haben, dass ihr davon noch an andere Völker ausleihen könnt, doch ihr selbst braucht nichts zu borgen.  Wenn aber dein Bruder, ein anderer Israelit, Not leidet, irgendwo in dem Land, das der HERR euch geben wird, dann darfst du nicht hartherzig sein und deine Hand vor deinem Bruder verschließen.

Leih ihm gegen ein Pfand, so viel er braucht. Sei auch nicht so gemein und berechnend, dass du denkst: »Das siebte Jahr ist nicht mehr fern, dann muss ich ihm die Schulden erlassen!« Gönne ihm das und lass ihn nicht vergeblich bitten! Wenn er sich beim HERRN über dich beklagen muss, hast du schwere Schuld auf dich geladen. Hilf ihm gern, tu es nicht widerwillig! Dafür wird dir der HERR auch alles gelingen lassen, was du unternimmst.

Es wird in eurem Land immer Arme geben; deshalb befehle ich euch: Unterstützt eure armen und Not leidenden Brüder und Schwestern. Wenn jemand aus Israel, dein Bruder oder deine Schwester, sich als Sklaven oder Sklavin an dich verkauft, dann soll der Betreffende dir sechs Jahre dienen; im siebten Jahr musst du ihn wieder freigeben. Schick ihn aber nicht mit leeren Händen weg, sondern gib ihm reichlich von dem, was der HERR dir geschenkt hat: Schafe und Ziegen, Korn und Wein. Denk daran, dass ihr alle in Ägypten Sklaven gewesen seid und dass der HERR, euer Gott, euch befreit hat. Deshalb gebe ich euch heute dieses Gebot.“

Liebe Vesperkirchen-Gemeinde,

was ist das für ein Text? Sind das Ratschläge für besonders Fromme? Oder besonders gute Menschen? Oder sind das Handlungsanweisungen auch für Ökonomen, Banker, Politiker?

Sprechen aus dem Text vorwiegend ethische Wunsch­vorstellungen? Oder enthält er ganz viel wirtschaftliche Vernunft?

Ich behaupte: Beides!

Eines der Probleme unserer heutigen Zeit besteht darin, dass wir dazu neigen, uns als gespaltene Persönlichkeiten zu verstehen: Da sind wir einerseits eine Privatperson. Und zum privaten Bereich zählen neben Familie und Hobbies auch unser Glaube und die daraus sich ergebende Ethik. Und dann sind wir andererseits Berufstätige. Mit mehr oder weniger Entscheidungsbefugnissen, je nach Tätigkeit und Verantwortungskompetenz. Aber auf jeden Fall ist unser Handeln vorwiegend von Sachzwängen und den Logiken der Wirtschaftswelt geprägt. Glauben und Ethik spielen in unserem beruflichen Handeln meist nur eine untergeordnete Rolle.

Für die Bibel ist das anders. Das Deuteronomium und seine Gebote wurden in der späten Königszeit im 8. Jh. vor Christus aufgeschrieben. Sie richteten sich an die freien, landbesitzenden, israelitischen Männer. Diese werden angesprochen und zwar ganzheitlich: in ihrer Funktion als Ehemann und Vater, als wirtschaftlich Handelnder, als frommer Jude. Gott braucht sie – mit ihrer ganzen Person. Denn nur, wenn sie ihr Handeln an seinen Geboten ausrichten, nur dann kann die von Gott gewünschte Ordnung in Israel bestehen bleiben. Gott hatte das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit. Er hatte ihnen ein neues Land geschenkt. Mit dem Ziel, dass alle dort ein auskömmliches, gutes Leben haben können.

Doch bald wurde klar: Das ist kein Selbstläufer. Die Eigen-gesetze der Wirtschaft führen zu Verwerfungen: Nach einer Missernte müssen sich kleinere Bauern bei größeren Saatgut für die nächste Ernte leihen. Fällt diese gut aus, dann können sie ihre Schulden zurückzahlen. Fällt sie schlecht aus, müssen sie erneut leihen. Jedes Mal wird das eingeforderte Pfand größer: Erst Gegenstände, dann das Haus, das Land, dann der Mann, die Frau, die Kinder. Am Ende der Spirale kann die Schuldknechtschaft für die ganze Familie stehen.

Das widerspricht aber dem Willen Gottes: Er möchte freie Menschen, die sich und ihre Familie versorgen können. Deshalb gibt es im Alten Testament nicht nur die 10 Gebote, sondern es gibt eine Fülle von Geboten, die das Wirtschaftsleben betreffen. Gott greift steuernd ein. Er darf das, denn: Alles, was die Israeliten besitzen, hat er ihnen geschenkt. Das ist die Logik. „Ich, Gott, habe euch aus der Sklaverei in Ägypten geführt!“ Und weil alles Geschenk ist, erwarte ich von Euch Großzügigkeit, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit.

Die wirtschaftlichen Vorgänge werden nicht komplett untersagt. Nach dem Motto: Wenn dein Nächster kommt, musst du ihm das Saatgut schenken. Nein, ihr dürft leihen und Schulden-machen. Aber dafür gibt es Regeln. So wird das Zinsnehmen verboten. Weil es die Verschuldungsspirale beschleunigt.

Es wird geregelt, was nicht gepfändet werden darf: z.B. die Mühlsteine oder der einzige Mantel, der nachts als Decke dient.

Und auch die Entschuldung wird geregelt. In jedem siebten Jahr müssen Schulden erlassen werden und Schuldsklaven entlassen werden. Es gibt noch ein weitergehendes Gebot, das des Jubeljahres. Alle 7 x 7, also 49 Jahre sollen nicht nur Schulden erlassen und Schuldsklaven freigelassen werden, sondern es soll auch durch Schulden verlorenes Land samt Hof wieder zurückgegeben werden.

So wie Gott den Menschen den Sabbat geschenkt hat als Tag der Ruhe von Arbeit und Mühen, so schenkt er ihnen ein Sabbatjahr. Freiheit durch Entschuldung, das ist die Idee hinter diesem Sabbatjahr. Ein ökonomischer Neuanfang ist möglich. Und wer die psychischen Folgen von Verschuldung und Armut kennt, der weiß: Damit ist auch ein innerer Neuanfang möglich. Menschen können wieder aufatmen und neu starten.

Bereits aus dem alten Babylon sind solche Schuldenerlasse bekannt. Die Könige hatten dort im 2. Jahrtausend v. Chr. meist am Beginn ihrer Regierungszeit einen allgemeinen Schuldenerlass ausgerufen. Sie wollten so den lähmenden Effekt der Anhäufung von Schuld- und Zinslasten auf das gesamte Wirtschaftsleben durchbrechen.

Aus dem biblischen Gebot des Schuldenerlasses im Sabbatjahr spricht also nicht nur die Stimme des barmherzigen, befreienden Gottes, sondern es spricht auch die Stimme der volkswirtschaftlichen Vernunft. Denn eine Gesellschaft mit reichen Großbauern auf der einen Seite und einer Vielzahl von landlosen Tagelöhnern oder Schuldsklaven auf der anderen Seite wird auf lange Sicht keine funktionierende und stabile Gesellschaft sein.

Interessanterweise findet sich diese doppelte Motivation auch im deutschen Privatinsolvenzverfahren, das vor ein paar Jahren gesetzlich geregelt wurde. Wir werden in unserer Podiumsdiskussion am 30. Januar näher darauf eingehen. Einerseits gewährt der Staat hier seinen verschuldeten Bürgerinnen und Bürgern Gnade. Andererseits macht er damit etwas volkswirtschaftlich sehr Vernünftiges: An die Stelle von im Zweifel nie realisierbaren Ansprüchen von Gläubigern einerseits und gelähmten Schuldnern andererseits setzt er ein geregeltes Verfahren. So erhalten die Gläubiger wenigstens einen Teil ihrer Forderungen, und die Schuldner bekommen die Möglichkeit, frei von Schulden wieder am Wirtschafts- und Berufsleben teilnehmen zu können.

Dass unser Bibeltext vom Sabbatjahr durchaus ökonomisch differenziert denkt, wird an Details sichtbar: Vielleicht sind Sie vorhin beim Hören drüber gestolpert: „Von einem Ausländer könnt ihr Schulden eintreiben, aber nicht von einem, der zu eurem eigenen Volk gehört und deshalb euer Bruder ist.“ Finden sich hier etwa Einsprengsel des AFD-Programms in unserer Bibel? Nein, dem ist nicht so! Die hebräische Bibel hat verschiedene Worte für Ausländer. Der hier gemeinte „nakri“ ist ein einzelner Ausländer, der v.a. als Handelspartner in Israel unterwegs ist. Die Wirtschaftsbeziehungen mit ihm sind von Gottes Geboten nicht tangiert, denn er ist nicht Teil des Bundes, das Gott mit seinem aus Ägypten befreiten Volk hat. Außerdem kam den Außenhandelsbeziehungen des überwiegend agrarischen Israels aufgrund ihres überschaubare Ausmaßes keine größere volkswirtschaftliche Bedeutung zu.

Anders verhält es sich mit dem „ger“, der in den deutschen Bibeln meist mit „Fremder“ oder „Fremdling“ übersetzt wird. Das ist der Immigrant, der vor Hunger und Krieg aus einem der Nachbarländer nach Israel geflohen ist und dauerhaft dort wohnt. Er steht unter Gottes besonderem Schutz. Er wird meist in einem Atemzug mit Witwen und Waisen benannt. Seine Rechte sind in besonderer Weise zu schützen, ja Gott gebietet, ihn zu lieben. Denn: Auch die Israeliten waren Fremdlinge in Ägypten. Das sollen sie immer bedenken, wenn sie es mit Fremden im Land Israel zu tun haben. Die Gebote zum Sabbat, die Zinsverbote, der Schutz vor unzulässigen Pfändungen, all das gilt auch für die Fremden im Land.

Spätestens hier wird klar, dass das Alte Testament und das AFD-Programm absolut unvereinbar sind!

Ein weiterer realistischer Zug in unserem Bibeltext ist der mit der Zeitberechnung. Gott kennt seine Pappenheimer. OK, mag da einer denken, 7 Jahre sind eine lange Zeit, bis dahin wird mein Schuldner mir seinen Kredit schon zurückgezahlt haben.

Aber wer verleiht schon im Jahr 2017, wenn 2018 das nächste Erlassjahr ist? Gott sagt: Ihr sollt nicht kalkulieren. Ihr sollt freigiebig verleihen. Wenn eure Mitmenschen etwas leihen müssen, um überleben zu können, dann dürft ihr ihnen den Kredit nicht verweigern.

Vor 500 Jahren hat Martin Luther diese biblischen Gedanken und Gebote wiederaufgenommen. Er war herausgefordert von den Entwicklungen seiner Zeit. Heute bezeichnen wir diese Zeit um 1500 als Frühkapitalismus. Die Banken hatten sich etabliert, große Wirtschafts- und Kapitalgesellschaften wie die Fugger begannen, das Wirtschaftsleben in größerem Maß zu beeinflussen. Damals schon gab es vieles von dem, was wir aus unserer heutigen Wirtschaft kennen an herausfordernden Fragestellungen: festverzinsliche Darlehen und Hypotheken oder Monopole von überregional und international agierenden Unternehmen.

Luther setzte sich in verschiedenen Schriften mit den daraus sich ergebenden wirtschaftsethischen Fragen auseinander. Sie tragen Titel wie: „Von Kauffshandlung und Wucher“ oder: „An die Pfarrherren wider den Wucher zu predigen. Vermahnung.“

Luther bezog Stellung zu ganz konkreten Fragen: Ist Zinsnehmen erlaubt? Wie hoch darf ein Zins sein? Können Kirchengemeinden und die Obrigkeit Nahrungsmittelspekulation in Zeiten von Inflation und Hunger tatenlos hinnehmen?

Luthers Argumentation geht aus von der Bibel und seinen reformatorischen Entdeckungen des gnädigen Gottes. Gott schenkt uns, was wir zum Leben brauchen. Und weil wir innerlich mit Gnade und äußerlich mit dem Lebensnotwendigen beschenkt werden, können wir freigiebig mit unserem Eigentum umgehen. Luther formuliert dabei immer wieder auch schön drastisch: Das nicht zur Nächstenliebe eingesetzte Gut prangert er als „gestohlen vor Gott und wider die Natur der Güter“ an. Unser Eigentum hat dem Nächsten und dem gemeinen Nutzen zu dienen. Er appelliert an die Kaufleute, keine überhöhten Preise zu verlangen und richtet dabei seine Appelle an diejenigen, die lieber „mit Gott arm, als mit dem Teufel reich seien“.

Luthers Schriften richten sich an Pfarrer und an die Obrigkeit, wo die einen durch ihre ethischen Predigten und die anderen durch ihre Gesetzgebung v.a. den Schutz der wirtschaftlich und sozial Schwachen gewährleisten sollen.

Und sie richten sich an Kaufleute und andere Bürger, die ihr berufliches Handeln von den Geboten Gottes und ihrem christlichen Glauben beeinflussen lassen sollen.

Was mich an Luthers Schriften beeindruckt, ist die Gründlichkeit, mit der er die wirtschaftlichen Zusammenhänge darstellt und seiner biblischen und ethischen Beurteilung unterzieht. Dabei ist er durchaus bereit, das eine oder andere Zugeständnis zu machen. So kann er für manche Vorgänge einen – für damalige Verhältnisse sehr niedrigen – Zins von 4-6 % akzeptieren trotz grundsätzlich gültigem biblischen Zinsverbot. Aber gleichzeitig fordert er eine Beteiligung des Gläubigers am Risiko des Schuldners. Deshalb erscheint ihm eine Gewinnbeteiligung besser als ein starrer Zinssatz. Und wenn die Ernte schlecht ausfällt oder das Handwerksgeschäft nicht gelingt, gibt es eben keinen Zins. Interessanterweise begründet er diesen Gedanken damit, dass der Mensch sonst dem Segen Gottes vorgreift. Zinsgeber, die nicht bereit sind, sich am Risiko zu beteiligen, gelten Luther „als Räuber und Mörder, die dem Armen sein Gut und Nahrung entreißen“.

Finanzgeschäfte, die mit komplizierten Begründungen das mittelalterliche Zinsverbot umgehen und komplexe Rückzahlungs-modalitäten mit Zinsfallen vorsehen, lehnt er ab und plädiert für klare Regelungen, die auch von Seiten der Obrigkeit überwacht werden müssen.

Er kann auch unterscheiden zwischen Krediten, die für größere wirtschaftliche Aktivitäten gewährt werden und Krediten, die dem Überleben von Menschen dienen. Hier fordert er Großzügigkeit bei der Schuldentilgung ein. Auch das Erlassjahr findet sich in seinen Überlegungen. Dabei folgt er einer simplen Logik: Wenn ich Geld verleihe, was ich nicht für meinen Lebensunterhalt brauche, dann kann ich das ja offensichtlich erübrigen. Und wenn mein Schuldner es mir aus nachvollziehbaren Gründen nicht zurückgeben kann, ja dann muss ich halt drauf verzichten. Und ich muss das nicht frustriert und schweren Herzens tun, sondern ich kann fröhlich dabei sein, weil ich damit Gottes Gebot der Nächstenliebe in die Tat umsetze.

Das ist Teil der Freiheit eines Christenmenschen, die für Luther zentral war. In der gleichnamigen Schrift gebraucht er dazu das Bild des Überfließens: Gottes Güter fließen in uns und aus uns weiter in unsere Nächsten, wie bei einem Brunnen mit mehreren Schalen. Wenn wir aus dem Grundgefühl leben, dass wir Beschenkte sind, dann können wir von unserem Überfluss etwas weiterfließen lassen, ohne dabei Angst zu haben, dass uns etwas fehlen könnte, oder dass wir irgendwo zu kurz kommen.

Liebe Vesperkirchengemeinde,

zu Beginn der Predigt hatte ich gefragt, wer sich vom Gebot der Schuldentilgung im Sabbatjahr angesprochen fühlen soll.

Ich weiß ja nun nicht, was meine Ausführungen bei Ihnen für Gedanken ausgelöst haben, und in welcher Ihrer Rollen Sie sich angesprochen fühlen. Als Geschäftsfrau oder –mann? Als Familienmutter oder -vater, die Sie überlegen, wo Sie Ihr Erspartes zur Vorsorge gut anlegen? Als Politiker, der Sie sich fürs Gemeinwohl starkmachen? Als Bürgerin und Bürger, die Sie sich für nationale und internationale Finanz- und Wirtschaftsfragen interessieren und engagieren?

Ich denke, das Gebot der Schuldentilgung im Sabbatjahr bleibt für jede und jeden von uns ein Ansporn, das tägliche Tun auf seine wirtschaftlichen und sozialen Folgen hin zu überdenken.

Familienmütter und -väter fragen sich: Was brauche ich für mich und meine Familie zum Leben? Und was mache ich mit dem Geld, das ich darüber hinaus zur Verfügung habe? Lege ich es an nach dem Motto: möglichst viel Rendite, um meine Vorsorge gut abzusichern? Oder lege ich es – wenigstens teilweise – bei einer Organisation wie Oikocredit an, die damit Mikrokredite in den armen Ländern des Südens bereitstellen kann? Bei welcher Form der Geldanlage fällt es mir leichter, einen möglichen Verlust hinzunehmen?

Geschäftsfrauen und -männer fragen sich: Welche Gewinnspanne setze ich an für mein Unternehmen? Was bin ich bereit zu tun, um diese Gewinnspanne zu erreichen? Wer zahlt den Preis dafür? Welche Geschäftsmodelle praktiziere ich nicht, weil sie Menschen in die Schuldenfalle ziehen?

Politikerinnen und Politiker fragen sich: Wie können wir lokal, national und global das Wirtschaftsleben so gestalten, dass es fair und gerecht zugeht? Dass die Schwachen nicht unter die Räder kommen? Dass vermeintliche Sachzwänge nicht unhinterfragt bleiben? Dass Eigengesetzlichkeiten ihre Grenze an den Kompetenzen der demokratischen Gesetzgeber finden?

Wir alle, Bürgerinnen und Bürger, fragen uns: Welches Bild von unserer Wirtschaftsordnung haben wir? Wie wollen wir in Deutschland leben und wie wollen wir mit den anderen Nationen, v.a. den ärmeren auf der Südhalbkugel, unsere Wirtschaftsbeziehungen gestalten? Wo sind wir bereit, Schulden zu erlassen, um Leben zu ermöglichen?

Für die Bibel leitend ist das Bild einer Gesellschaft, die von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit geprägt ist. Deshalb veranstalten wir – zeichenhaft – die Vesperkirche. Deshalb setzen wir uns mit Fragen wie dem Schuldenerlass auseinander. Und deshalb soll der, der die biblischen Visionen einer barmherzigen und gerechten Gesellschaft teilt, nicht zum Arzt gehen, wie ein Ex-Bundeskanzler empfohlen hat, sondern er soll sich mit anderen zusammensetzen, die auch Visionen haben, die damit ringen, wie sie in ihrem persönlichen Leben in komplexen wirtschaftlichen Fragen handeln sollen. Um gemeinsam Antworten zu suchen, die tragfähig sind, sowohl in ökonomischer, wie auch in sozialer und ethischer Sicht.

Die Bibel und Martin Luther waren überzeugt davon, dass das möglich ist.

Amen.